In seinem Hauptwerk „Sein und Zeit“ (1927) schlägt Martin Heidegger unter dem Titel „Fundamentalanalyse des Daseins“ eine neuartige Zugangsweise zur menschlichen Existenz vor: Anders als die philosophische Tradition, die stets von einer strikten Trennung von Subjekte und Objekt, Bewusstsein und Gegenstand ausgegangen ist, möchte Heidegger unsere Existenzweise aus dem alltäglichen, praktischen und emotional gefärbten Umgang mit der Welt erschließen. Ohne einen solchen fundamentalen Weltbezug, so die These, wäre überhaupt kein Selbstverhältnis möglich. Dem Subjekt steht deshalb nicht einfach eine Welt der Objekte unverbunden gegenüber, es existiert vielmehr nur eingebettet in weltliche Vollzüge, die zum größten Teil präreflexiv ablaufen. Dasein ist deshalb, wie Heidegger dies ausdrückt, wesentlich „In-der-Welt-Sein“.

Eine anhaltende Herausforderung von „Sein und Zeit“ liegt allerdings nicht nur in der eigenen Begriffssprache, mit der die eingeschliffenen Denkkategorien der alten Metaphysik aufgebrochen werden sollen. Ebenso schwierig zu entschlüsseln ist die eigentümliche Verknüpfung einer phänomenologisch-konkreten Analyse alltäglicher Handlungsvollzüge mit einer existenziellen Freiheitstheorie und einer – konservativ gefärbten – Kritik am Konformismus der aufkommenden Massengesellschaft.

Das Seminar verfolgt nicht den Anspruch, den gesamten Text von „Sein und Zeit“ (der zudem Fragment geblieben ist) zu erarbeiten. Stattdessen soll die gemeinsame Lektüre des kulturphilosophisch besonders relevanten ersten Abschnittes „Die vorbereitende Fundamentalanalyse des Daseins“ (§§9-44) im Mittelpunkt stehen. Ein zentrales Anliegen der Seminararbeit ist die Einführung in textorientierte Interpretationsverfahren und die systematische Rekonstruktion von Argumentationsgängen. Vorkenntnisse sind nicht erforderlich.

Semester: WT 2017/18