
Nachdem in den vergangenen Jahrzehnten eine deutliche Zunahme von „Spätverkaufsstellen“, kurz „Spätis“, in Leipzig zu beobachten war, kam es in den vergangenen Jahren zu einigen Schließungen und Einschränkungen von Öffnungszeiten. Grund waren neben den wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie und der wachsenden Konkurrenz – durch Lieferdienste, Discounter- und Supermarktketten sowie neuerdings auch Automatengeschäfte mit vergleichbarem Sortiment – nicht zuletzt auch die zunehmenden Kontrollen durch das Ordnungsamt zur Durchsetzung des Sächsischen Ladenöffnungszeitgesetzes.
Sowohl Ladenbetreiber:innen und ihre Klientel als auch Politiker:innen verschiedener Parteien setzen sich allerdings für den Erhalt der Spätis ein; zuletzt fand im Dezember 2024 eine Demonstration in Leipzig statt. Diese Kontroverse nimmt das Forschungsprojekt zum Anlass, die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Funktionen von Leipziger Spätis zu beleuchten und somit auch wichtige Erkenntnisse für die wissenschaftliche Auseinandersetzung über die Thematik zu gewinnen. Spätis werden sowohl ökonomische Funktionen im Bereich der Nahversorgung mit einer spezifischen Temporalitäten im Hinblick auf Öffnungszeiten und Schnelligkeit zugeschrieben, als auch als soziale Bedeutungen als Orte und integrale Elemente einer Kiezkultur. Als nachbarschaftliche Begegnungsorte sollen sie den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken, als Treffpunkte für urbane Subkulturen dienen und Anlaufstellen gerade auch für vulnerable Personen darstellen. Als Inbegriff der Urbanität gehandelt, sind Spätis auch für das Stadtmarketing – nicht zuletzt unter Bezugnahme auf Berlin – von Interesse.
Spätis scheinen also sowohl für progressive Subkultur und innovatives Kleinstunternehmertum zu stehen als auch für ein in Zeiten bis 22h Uhr geöffneten Supermarktketten redundantes Relikt aus der Vergangenheit.
Gleichzeitig besteht auch eine erhebliche Diversität unter verschiedenen Spätis und Stadtteilen, und in der wissenschaftlichen Literatur finden sich Hinweise auf Spätis als Elemente von Gentrifizierungsdynamiken.
Im Seminar und Praktikum lernen Sie wissenschaftliche Perspektiven auf das Thema kennen und schulen Ihre Kompetenzen der praktischen Anwendung von den – in B-AG09 bereits kennengelernten – Erhebungs- und Auswertungsmethoden. Dadurch entwickeln Sie wichtige wissenschaftliche wie berufspraktische Kernkompetenzen: Sie werden befähigt, ein Forschungsprojekt zu konzipieren, adäquate empirische Untersuchungsmethoden anzuwenden, erhobene empirische Daten kritisch zu analysieren sowie Forschungsergebnisse zu synthetisieren und zu bewerten. Zentrale Kompetenzen der Wissenschaftskommunikation wie Visualisierung und Präsentation von theoretischen Perspektiven und eigenen empirischen Befunden werden im Seminar geübt. In Kleingruppenarbeit werden Fähigkeiten wie Projektmanagements und der Teamarbeit ausgebaut.
- Trainer/in: Sonja Ganseforth
- Trainer/in: Anne Köllner
Semester: ST 2025