Prof. Dr. Stefan Troebst

Global and European Studies Institute

Professur für Kulturgeschichte des östlichen Europa

troebst@uni-leipzig.de
Seminar Antislavismus – Geschichte und Gegenwart eines rassistischen Ressentiments

Dienstag, 17:15-18:45 Uhr Global and European Studies Institute (GESI), Emil-Fuchs-Str. 1, Raum 3.15

Im Gegensatz zu Antisemitismus, Antiziganismus und auf Hautfarbe beruhenden rassistischen Ressentiments ist der in etlichen europäischen Nationalgesellschaften im 19. Jahrhundert aufgekommene Antislavismus kaum Gegenstand kultur- und sozialwissenschaftlicher Forschung. Johann Gottfried Herder hat im sogenannten Slawenkapitel seiner Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit von 1791 die „slavischen Völker“ zwar patronisierend „als mitgezogene, helfende oder dienende Völker“ porträtiert, sie aber mit positiven Eigenschaften wie „fröhlich“, „musikalisch“, „mildtätig“, „gastfrei“ und nicht „kriegssüchtig“ belegt. Doch in Gustav Freytags Erfolgsroman Soll und Haben von 1854 ist bereits abfällig von den Polen als zur Staatsbildung unfähiger „slawischer Rasse“ die Rede. Friedrich Engels und mit ihm Karl Marx übertrugen ihren politisch motivierten Hass auf das absolutistische Russland der Zaren nicht nur auf Groß-, Weiß- und Kleinrussen (d. h. Ukrainer), sondern auch auf slavophone Großgruppen, denen sie kollektive Russophilie unterstellten, wie etwa Bulgaren und Serben. Und die Frage, ob Adolf Hitler eine genuiner Slavenhasser war oder nicht, harrt noch einer Antwort: Zum einen war er von Antipolonismus und Tschechenfeindlichkeit geprägt, aber zum anderen ging er mit der ostslavisch dominierten Sowjetunion ein De facto-Bündnis ein, war mit Bulgarien auch formal verbündet, betrieb aktiv die Gründung slavophoner Vasallenstaaten wie der Slovakei und Kroatien und gab Anweisung, auch einen makedonischen Staat zu gründen. Wie in (Preußen-)Deutschland gab und gibt es aber auch in anderen „Anrainernationen“ antislavische Strömungen, zuvörderst in Italien, Rumänien und Griechenland, als post-habsburgisches Erbe auch in der Republik Österreich, sowie in den baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland. Eine Ausnahme scheint lediglich Finnland (gewesen) zu sein, wo der 1809 erfolgte Wechsel von einer Peripherie Schwedens zu einem Großherzogtum innerhalb des Russländischen Reiches als staatsrechtlicher „Karrieresprung“ erinnert wird. Hinzu kommen „innerslavische“ Phobien, so etwa eine durch die Teilungen Polens und den Hitler-Stalin-Pakt bedingte polnische Russenfeindlichkeit, sowie der serbisch-kroatische Gegensatz und aktuell der russ(länd)isch-ukrainische Konflikt.
Das Seminar, das gemeinsam mit Dr. Adamantios Skordos durchgeführt wird, ist für Studierende von Masterstudiengängen konzipiert. Die Kenntnis ost- und südeuropäischer Sprachen ist erwünscht.

Lit.: Skordos, Adamantios: Vom „großrussischen Panslavismus“ zum „sowjetischen Slavokommunismus“. Das Slaventum als Feindbild bei Deutschen, Österreichern, Italienern und Griechen. In: Gąsior, Agnieszka, Lars Karl u. Stefan Troebst (Hrsg.): Post-Panslavismus. Slavizität, Slavische Idee und Antislavismus im 20. und 21. Jahrhundert. Göttingen 2014, 388-426; ders.: Das panslawische Feindbild im Griechenland des 19. und 20. Jahrhunderts. In: Südost-Forschungen 71 (2012), 78-107; Marx, Karl: Enthüllungen zur Geschichte der Diplomatie im 18. Jahrhundert. Hrsg. u. eingel. v. Karl August Wittfogel. Frankfurt/M. 1981; Libretti, Giovanni: The Presumed Antislavism of Engels. In: Beiträge zur Marx-Engels-Forschung 1998, 191-202; Hanisch, Ernst: Der kranke Mann an der Donau: Marx und Engels über Österreich. Wien u. a. 1978; Klopčič, France: Friedrich Engels und Karl Marx über die „geschichtslose“ slawische Nation 1847-1895. In: 19. Internationale Tagung der Historiker der Arbeiterbewegung. Linz 1983, 217-249; Hitler, Adolf: Mein Kampf. Eine Abrechnung. 2 Bde., München 1925-1926 (kritische Ausgabe München 2016); Weinberg, Gerhard L. (Hrsg.): Hitlers Zweites Buch. Ein Dokument aus dem Jahr 1928. Stuttgart 1961; Borejsza, Jerzy W.: Antyslawizm Adolfa Hitlera. Warszawa 1988; ders.: „Śmieszne sto milionów Słowian...“: Wokół światopoglądu Adolfa Hitlera. Warszawa 2006; ders.: Einige Anmerkungen zum Antislawismus und zum Panslawismus. In: Dmitrów, Edmund, Tobias Weger (Hrsg.): Deutschlands östliche Nachbarschaften. Frankfurt/M. 2000, 429-433; Garleff, Michael: Von der Russophobie zum Antislawismus im deutschbaltischen Russlandbild. Ebd., 233-265; Kurth, Alexandra, Samuel Salzborn: Antislawismus und Antisemitismus. Politisch-psychologische Reflexionen über das Stereotyp des Ostjuden. Ebd., 309-324; Wiest, Oliver: Deutsches Kulturvolk und der Osten. Das Polenbild in der Historischen Zeitschrift 1859-1914. In: Steidl, Annemarie u. a. (Hrsg.): Übergänge und Schnittmengen. Arbeit, Migration, Bevölkerung und Wissenschaftsgeschichte in Diskussion. Wien, Köln, Weimar 2008, 347-370; Collotti, Enzo: Sul razzismo antislavo. In: Burgio, Alberto (Hrsg.): Nel nome della razza. Il razzismo nella storia d’Italia, 1870-1945. Bologna 2000, 33-61; Buvoli, Alberto: Il fascismo nella Venezia Gulia e la persecuzione antislava. In: Storia contemporanea in Friuli 26-27 (1996), 69-87; Wippermann, Wolfgang: Antislavismus. In: Puschmann, Uwe, Walter Schmitz u. Justus H. Ulbricht (Hrsg.): Handbuch zur „Völkischen Bewegung“ 1871-1918. München 1999, 512-524; Schaller, Helmut: Der Nationalsozialismus und die slawische Welt. Regensburg 2002; Piperek, Klaus: Arno Schmidt und die Welt der Slawen. Kommentierendes Handbuch. München 2010.

Semester: ST 2016