Gestaltpsychologische Ansätze wurden in der wissenschaftlichen Psychologie um die Jahrhundertwende 1900 entwickelt und bereits in der Gründungsphase auf musikalische Sachverhalte (Melodie-Transponierbarkeit) bezogen. Diese Erkenntnisse waren eingebettet in größere weltanschauliche Zusammenhänge, denn gestaltgeleitete Perzeption stand atomistischen Annahmen menschlicher Wahrnehmung und einer ‚rationalen‘ Reizverarbeitung entgegen.

Die Einsichten der Gestaltpsychologie über quasi-automatisierte Schlußverfahren in menschlichen Denkprozessen hatte Anteil an der Entwicklung von Computern. Man versuchte, diese Produktivität zu formalisieren. Seit den 1970er Jahren erleben Gestaltannahmen unter musikanalytischen Vorzeichen eine neuerliche Renaissance. Sie sind relevant für kognitive Netzwerk- und Schematheorien, die auf parallele Verarbeitungsmodi und emergente Effekte zurückgreifen sowie für Verfahren der automatisierten musikalischen Merkmalsauslese (musical feature extraction).

Im Seminar wird darüber hinaus debattiert, ob sich diese Fortführung gestaltpsychologischer Konzepte auch auf die ethischen und ganzheitlichen Überzeugungen der frühen Gestaltpsychologie erstreckt.  

Semester: SoSe 2013