1901 sprach sich Adolf von Harnack in seiner bekannten Rektoratsrede gegen die Religionswissenschaft als Universitätsfach aus, wobei er auch kolonialpolitische Argumente ins Feld führte. Die christlichen Staaten seien gerade dabei, die Erde unter sich aufzuteilen. Mit Blick auf den neutestamentlichen Missionsbefehl könne das nur auf Grundlage des Christentums erfolgen. Von daher lehnte er eine „allgemeine“ Religionsgeschichte nicht nur für das deutsche Universitätssystem, sondern auch für den Erwerb von Kolonien als kontraproduktiv ab. Mit wenigen Ausnahmen war die koloniale Aufteilung der Welt das Werk christlicher Kulturvölker, die zwar Nächstenliebe als höchsten Kulturwert propagierten, gleichzeitig aber ihre Kolonien mit brutaler Gewalt ausplünderten. Obwohl Mission und Kolonialismus zwei Seiten der gleichen Medaille sind, gab es vereinzelt auch Missionare, die sich gegen die Auswüchse der Kolonialherrschaft wandten. Am Anfang stützte sich der Kampf gegen die ausländischen Invasoren jedoch ganz auf indigene Traditionen. Im Laufe der Zeit verkomplizierte sich die Auseinandersetzung aber bis hin zum heutigen Neokolonialismus, bei dem ökonomische Interessen und der Wunsch nach kultureller Autonomie eine komplizierte Verbindung eingehen. Die Ambivalenz des Religiösen bietet der Religionswissenschaft unter den Bedingungen der globalen Moderne reiches Anschauungsmaterial, deren Analyse allerdings weniger wissenschaftliche als politische Schwierigkeiten bereitet.
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