Die Frühe Neuzeit ist fraglos eine der spannendsten Epochen der französischen Sprachgeschichte. Im Kon­text von Renaissancehumanismus, Buchdruck und Reformation beginnt im 16. Jahrhundert eine in­tensive Sprachreflexion. Deren Ziel besteht im Wesentlichen darin, dem Französischen – das da­­­­mals noch im Schatten der Gelehrtensprache Latein und des kulturell überragenden Ita­lie­ni­schen stand – eine privile­gier­te Rolle als inter­na­tional konkurrenzfähige Literatur- und Wissen­schafts­­­­­spra­che zu si­chern. Es entstehen zahl­reiche Gramma­tiken und Abhandlungen, die orthogra­phische Reformideen, Stra­tegien der lexika­li­schen Innovation durch Entlehnung und Vorschläge zur Regulierung morpho­syn­taktischer Variation diskutieren. Um den Ausbau des Fachwortschatzes voranzutreiben und den noch flexiblen, gleichsam ungeschliffenen Schriftstandard zu perfektionieren, bedient man sich wech­seln­der sprach­­li­cher Vorbilder (Latein, Griechisch, Italienisch, Dialekte), die bald begeistert imi­tiert, bald erbit­tert zurückgewiesen werden.

Auf diese Zeit der hitzigen Debatten, des Experimentierens und der überschwänglichen Bereicherung des sprachlichen Ausdrucksinventars folgt mit dem siècle classique die Phase der Be­schnei­dung und regle­men­tierenden Auswahl. Gemäß dem Rezept von Vaugelas’ Remarques sur la Langue Françoise (1647) orien­tiert sich die Kodifizierung nunmehr am Ideal der höfischen Kon­ver­sa­tions­kultur, nämlich am bon usage der Versailler Elite (« l’élite des voix ») sowie der zeitgenössischen Auto­ren, die diesen elaborierten Sprechstil litera­risch sanktio­nieren. Mit der Gründung der königli­chen Aca­dé­mie fran­çaise (1634) wird schließ­lich die institu­tionelle Voraussetzung ge­schaf­fen für die auto­ri­täre Fixierung des mo­dernen Schrift­stan­dards. 1694 erscheint die erste Auf­la­ge des Dic­tion­­naire de l’Aca­dé­mie fran­çoise, das bis heute in Frankreich als maßgeblicher Sprachkodex gilt (vgl. https://www.dictionnaire-academie.fr).

Im Seminar verfolgen wir das französische Sprachdenken des 16. und 17. Jahrhunderts anhand von Pri­­mär­texten, die wir geistesgeschichtlich einordnen und, wo es sich anbietet, auch mit verglei­chendem Blick auf andere Sprachgeschichten (Ita­lie­nisch, Spa­nisch) interpretieren wollen.

Zur einführenden Lektüre empfehle ich die relevanten Kapitel in einem der folgenden Werke:

Chaurand, Jacques (Hg.) (1999). Nouvelle histoire de la langue française. Paris: Seuil.

Trabant, Jürgen (2006). Europäisches Sprachdenken. Von Platon bis Wittgenstein (Becksche Reihe). Mün­­chen: Beck

Semester: WiSe 2021/22