Der in den 1980er Jahren aufkommende Begriff des Postkolonialismus bzw. der postkolonialen Kritik entsteht unter dem Eindruck, dass sich trotz der politischen Dekolonialisierung und einer zunehmenden globalen Verflechtung der Welt alte koloniale Machtverhältnisse in kulturellen Vorstellungen und Zuschreibungen ebenso erhalten wie in scheinbar neutralen Wissensformen und begrifflichen Unterscheidungen. Von Beginn an zwischen Literatur- und den neu entstehenden Kulturwissenschaften angesiedelt, haben sich unterschiedliche interdisziplinäre Positionen und Perspektiven auf die postkoloniale Situation gebildet, ohne eine einheitliche Theorie hervorzubringen. Gleichwohl fällt auf, dass sich die meisten Vertreter:innen einer postkolonialen Kritik – neben der Psychoanalyse und dem Marxismus – verstärkt auf poststrukturalistische Ansätze wie die Diskursanalyse oder die Dekonstruktion berufen. Diese Ansätze bilden den Hintergrund, vor dem kulturelle und nationale Identitäten ebenso infrage gestellt werden wie die Universalisierung und Naturalisierung von europäischen oder „westlichen“ Denkmustern und Begriffen.

Das Seminar beschäftigt sich hauptsächlich mit Schriften von Edward Said, Gayatri Chakravorty Spivak und Homi K. Bhabha, die heute als Grundlagentext der postkolonialen Kritik gelten können. Zum besseren Verständnis des theoretischen Referenzrahmens, in dem sich diese Autor:innen bewegen, sollen zunächst einführende Texte zur Diskursanalyse von Michel Foucault und zu Jacques Derridas Ansatz der Dekonstruktion erarbeitet werden. Voraussetzung für die Teilnahme ist die Bereitschaft, sich mit theoretischen Ansätzen und philosophischen Reflexionen auseinanderzusetzen; Vorkenntnisse zu den behandelten Autor:innen sind nicht erforderlich.

Semester: WiSe 2022/23