Im Zentrum der bürgerlichen Gesellschaft steht das Versprechen der individuellen Freiheit. Doch da sich diese Freiheit schlecht allein verwirklichen kann, erscheinen Kollektive einerseits als Probleme und andererseits als Sehnsuchtsorte. Umstritten ist besonders die Frage, ob ein Kollektiv diese Freiheit nun ermöglicht oder gar verhindert. Das Seminar möchte dieser ambivalenten Bezugnahme anhand von zwei recht unterschiedlichen Begriffen des Kollektiven nachgehen: zum einen jenem der Gemeinschaft und zum anderen jenem der Masse. Beide Begriffe erscheinen zunächst als Gegensatz, insofern die Gemeinschaft ein auf Nähe basierendes Kollektiv bezeichnet, während in der Masse die Individuen als Entfremdete zusammenkommen. Jedoch verdächtigen liberale Theorien sie gleichermaßen der Irrationalität, insofern ihre Kollektivität jeweils mehr aus Gefühlen denn aus der Vernunft entsteht.

Das Seminar will versuchen das Phänomen des Kollektiven durch diese beiden Konzepte zu begreifen. Indem sich in ihnen auf je unterschiedliche Weise Versprechen und Bedrohung verbinden, können sie helfen zu verstehen, warum Kollektive ebenso zur bürgerlichen Gesellschaft gehören wie das Individuum. In diesem Sinne werden die im Seminar wiederkehrenden Fragen unter anderem sein: Auf welche Probleme soll mit den Konzepten von Gemeinschaft und Masse jeweils geantwortet werden? Welche Lösungen versprechen sie? Wie denken sie die Beziehung zwischen Individuum und Kollektiv? Zur Beantwortung werden ältere und neuere Texte aus unterschiedlichen Theoriertraditionen besprochen (u.a. F. Tönnies, H. Plessner, J.-N. Nancy, S. Freud, R. Luxemburg, E. Canetti, C. Mouffe).

Semester: ST 2023