„There is no such thing as shell shock!“ (General Paul Mireau in Stanley Kubricks Path of Glory). Während des Ersten Weltkriegs wurde der traumatischen Neurose das Krankheitsattribut entzogen, das ihr zuvor – etwa in Bezug auf Hysterie, Neurasthenie oder die sogenannte „Railway-Spine“ – zugestanden worden war. Schließlich werde – so etwa der Leipziger Arzt Strümpell 1917, Hindenburg zitierend – „dasjenige Volk den Endsieg erringen […], welches die besten Nerven habe" (Fischer-Homberger 1970: 236). Während die Forschung zu dem Phänomen, das heute als posttraumatische Belastungsstörung (Posttraumatic Stress Disorder, PTSD) verhandelt wird, im 1. Weltkrieg auf breiter Ebene ansetzte, wurden sogenannte „Kriegshysteriker“ für ihr Leiden selbst verantwortlich und strafbar gemacht. Rentenansprüche wurden ihnen entzogen, ihre Körper Starkstrom-Elektroschocks ausgesetzt, die sie zurück an die Front zwingen sollten. „Doch das Verdrängen misslang“ (Eckhart 2005: 102).
Das Seminar rekonstruiert an diesem historischen Beispiel, welch immensen Einfluss soziale, politische und wirtschaftliche Faktoren auf die ärztliche Diagnostik hatten. Es fragt international vergleichend nach Umständen und Auswirkungen, Diagnosen und Therapieformen sowie den Körperverständnissen, welche die sich formierenden psychiatrischen, psychologischen und psychoanalytischen Ansätze der Entwicklung von Neurosen zugrunde legten.Literatur:
Fischer-Homberger, Esther (1970), Der Begriff „Krankheit“ als Funktion außermedizinischer Gegebenheiten. Zur Geschichte der traumatischen Neurose, in: Sudhoffs Archiv 54.3, S. 225-241.
Eckhart, Wolfgang U. (2005), Kriegsgewalt und Psychotrauma im Ersten Weltkrieg, in: Ibid.; Seidler, Günther H. (Hg.), Verletzte Seelen. Möglichkeiten und Perspektiven einer historischen Traumaforschung, Gießen: Psychosozial-Verlag, S. 85-105.
Michl, Susanne; Plamper, Jan (2009), Soldatische Angst im Ersten Weltkrieg: Die Karriere eines Gefühls in der Kriegspsychiatrie Deutschlands, Frankreichs und Russlands, in: Geschichte und Gesellschaft, 35.2, S. 209-248.
Ryan, Kathy L. (2018), Walter B. Cannon’s World War I experience. Treatment of traumatic shock then and now, in: Advances in Physiology Education 42.2, pp. 267-276.
Schulze, Heidi; May, Michael (2019), (Wie) Können Traumatisierte sprechen? Eine dialogische Suchbewegung, in: Widersprüche. Zeitschrift für sozialistische Politik im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich 39.152, S. 11-35.
Fischer-Homberger, Esther (2021), Pierre Janet und die Psychotherapie an der Schwelle zur Moderne, hg. v. Gerhard Heim und Moritz Wedell, Gießen: Psychosozial-Verlag.- Trainer/in: Klein Christa