Der Klimawandel ist zu Beginn der 2020er Jahre endgültig aus der Phase der Latenz herausgetreten und zeigt sich mit zunehmender Macht: Dürren, Hitzewellen, Überschwemmungen und Wirbelstürme nehmen an Häufigkeit und Stärke zu, wir lesen davon beinahe täglich in den Nachrichten und spüren es auch in Nordeuropa zunehmend selbst. Während die politischen Gegenmaßnahmen nach wie vor schleppend vorankommen und nach dem Urteil der Wissenschaft unzureichend sind, befindet sich unser Planet bereits heute in einem „no-analogue state“, also in einem nach historischen Zeitmaßstäben bisher ungekannten Zustand, der sich weiter verschärfen wird.

Das Seminar fragt danach, wie sich vor dem Hintergrund der sich verschärfenden ökologischen Krise die gesellschaftliche und kulturelle Konstruktion von Zukunft verändert und in welcher Weise unser Zeitverständnis dadurch insgesamt transformiert wird. Das Narrativ des Fortschritts als historisches und temporales Leitkonzept scheint in der aktuellen Situation nur noch schwerlich zu halten – doch was könnten Alternativen sein? Welche Konsequenzen ergeben sich aus dem Aufeinandertreffen geologischer, sozialer, sowie ökonomischer Zeitskalen und welche Zeit steckt eigentlich in einem Stück Kohle oder einem Smartphone? Wie gehen wir als Gesellschaft mit dem Risiko von Kipppunkten um, die die Dynamik des Klimawandels noch eklatant verstärken können? In welchem Verhältnis steht die Zukunft zu Gegenwart und Vergangenheit und in welcher Weise verändert sich diese Kopplung der Zeitdimensionen im Anthropozän, dem „Zeitalter des Menschen“?

Um Antworten auf diese Fragen näher zu kommen, werden wir uns als Seminarlektüre daher sowohl mit Texten zur Zeittheorie (Elias, Koselleck, Landwehr u.a.) als auch mit Arbeiten, welche die Beziehung von Kultur und Gesellschaft zu Ökologie untersuchen (Horn, Chakrabarty, Folkers u.a.) auseinandersetzen. Wir wollen im Seminar anhand einer zeittheoretischen Analyseperspektive auf die gesellschaftlichen und kulturellen Konsequenzen der ökologischen Frage eingehen, wobei deren politische Dimension selbstverständlich nicht außen vor bleiben kann.


Semester: ST 2024