Das Verhältnis zwischen Musik und Macht – einschließlich der möglichen Zusammenhänge zwischen Musik und Subversion – ist in der Kulturgeschichte immer wieder diskutiert worden. Unklar bleibt aber meist, welche Rolle dabei dem akustischen, sonischen Element – also der eigentlichen Musik zukommt. Die Auffassungen changieren zwischen Alan Ginsbergs von Plato abgeleiteten Bonmot „When the mode of the music changes, the walls of the city shake“ bis hin zum von Helms und Phlebs kolportierten Anathema „Music is innocent like the bed on which conception has happened“. Andererseits hat Bourdieu seinen Begriff des kulturellen Kapitals und des Habitus nicht zuletzt am (bürgerlichen) musikalischen Geschmack entwickelt, während Hebdige und andere auf die konstituierende Bedeutung von Musik (und Kleidung) für die Herausbildung rebellischer jugendlicher Subkulturen in England hingewiesen hat.
Ohne Zweifel war (populäre) Musik spätestens seit 1956 eine soziale Praxis, der sowohl von ihren Gegnern als auch ihren Befürwortern gesellschaftsverändernde Kraft zugesprochen wurde. Dass dies so war, hing mit Erschütterungen der traditionellen Rassen- und Klassenhierarchien nach dem Zweiten Weltkrieg zusammen, mehr noch aber mit der auf vielen Ebenen gleichzeitig bestehenden Blockkonfrontation. Nicht umsonst hielten nordamerikanische Kulturkonservative Rock’n’Roll für eine sowjetische Verschwörung zur Zersetzung der Jugend, während ihn sowjetische Kulturbürokraten als us-amerikanische Verschwörung entlarvten.
Ab der Mitte der 1960er Jahre flossen neue, häufig im Sinne der bürgerlichen Kunstmusik undisziplinierte Musikstile und ihre Akteur/inn/e/n zusammen mit politischen und antipolitischen Rebellionen von der Bürgerrechts- über die Friedens- und antikolonialen Bewegungen bis hin zu einer „sexuellen Revolution“, die nicht erst von der Studentenbewegung erfunden worden war. Musik war dabei nicht einfach die akustische Begleitung dieser Auseinandersetzungen und des Wandels, den diese nach sich zogen, sondern ein integraler Bestandteil: Sie erwies sich gerade hier als soziale Praxis, die sich durch eine Betonung von Ekstase und Selbstentäußerung auszeichnete, die gleichzeitig eine äußerst geringe Distanz zwischen Aufführenden und Publikum, andererseits einen bis dahin selten gekannten Starkult ermöglichte. Dabei spielten – so eine weitere These – musikalische Eigenschaften und Eigenheiten der Aufführung eine wichtige Rolle: Zwar ist Musik in hohem Maße signifizierbar, aber – dies soll gezeigt werden – nicht beliebig.
Die Vorlesung untersucht, wie diese Konstellation zusammen mit einer tiefgreifenden Legitimationskrise traditioneller Eliten zu einer subversiven Deutung, Signifizierung und Verwendung bestimmter, häufig aus schwarzen Subkulturen stammender Musikstile führte. Nicht nur die Skandalisierung von Musiken, Tänzen und daran gebundenen Verhaltensformen, sondern auch ihre rhythmischen, melodischen und performativen Charakteristika schufen, so die These, die Grundlage für eine Massenattraktivität dieser Stile, die im Spannungsfeld von Subversion und popkultureller Einhegung ein wesentlicher Bestandteil dieser »Kulturrevolution« gewesen sind.
Dabei ist mit dem Umstand umzugehen, dass anscheinend alle als subversiv signifizierten Musikstile aus afroamerikanischen Subkulturen zu stammen scheinen, ihre Sprengkraft aber erst dann erhielten, wenn sie von „weißen“ Akteuren angeeignet wurden – sei es als Publikum, sei es als Aufführende. Zu klären ist also, ob es sich – wie insbesondere Elvis Presley vorgeworfen wurde – um eine Enteignung schwarzer Kultur durch eine weiße Kulturindustrie handelte, oder um eine eigentümliche, prekäre und fragile Hybridisierung.
- Trainer/in: Michael Esch