Mit dem Aufkommen der Grammatiken romanischer Sprachen in der Frühen Neuzeit beginnt ein bis heute andauerndes Ringen um Satzdefinitionen. Dabei haben neben semantischen und pragmatischen Konzepten (Propositionen, Illokutionen) stets auch formale Kriterien (Vollständigkeit, relative Selbständigkeit, Präsenz einer finiten Verbform) eine wichtige Rolle gespielt. Im schriftlichen Medium ist die Interpunktion das Mittel schlechthin, um syntaktische Binnen- oder Außengrenzen zu markieren. Allerdings erweisen sich die Interpunktionsnormen, die seit dem Spätmittelalter in der romanischen Schriftlichkeit zur Anwendung kommen, als historisch sehr variabel. Selbst in den Standardsprachen des 19. und 20. Jahrhunderts sind noch interessante Veränderungen des Zeichengebrauchs zu beobachten, deren grammatische, stilistische oder expressive Funktionen es im Einzelnen zu ergründen gilt. Dass jedenfalls semantische oder pragmatische Satzwertigkeit keineswegs mit syntaktischer Satzförmigkeit einhergehen muss, zeigt nicht zuletzt der bisweilen anarchisch anmutende Einsatz von traditionellen, aber auch neuartigen Interpunktionszeichen (etwa Emojis) in der digitalen Schriftlichkeit des 21. Jahrhunderts.
In diesem Seminar wollen wir uns einen Überblick über die Geschichte der Interpunktion im Französischen verschaffen – von der mittelalterlichen Manuskriptkultur über das Zeitalter des Buchdrucks bis hin zur heutigen computervermittelten Schriftlichkeit. Wir beginnen mit einer Bestandsaufnahme der aktuell gültigen Interpunktionsregeln und werden diese sodann, anhand von ausgewählten historischen Beispielen und anhand unterschiedlicher Textsorten, mit den normativen Vorgaben und dem tatsächlichen Gebrauch in früheren Epochen vergleichen. Dabei versuchen wir Beschreibungsansätze aus verschiedenen linguistischen Teildisziplinen zusammenzuführen (Syntax, Informationsstruktur, Schriftlinguistik, Textlinguistik, Philologie, Medienlinguistik), um so die historische Interdependenz von medialen Grundlagen, grammatischen Merkmalen und stilistischen Faktoren genauer zu bestimmen.
- Trainer/in: Klaus Grübl