Seit der Antike stehen Musik und Rhetorik in einem Spannungsverhältnis, das im Mittelalter in der "doppelten Zuordnung" der musica (Albrecht Riethmüller) zu den trivialen und quadrivialen Disziplinen der artes liberales hervortritt. In der Renaissance reiben sich Musik und Rhetorik aneinander: der noch pythagoreisch angelegte numerus sonorus wird durch die musica poetica abgelöst. Damit wird eine ontologische Auffassung von Musik durch eine technisch-argumentative abgelöst. Schließlich schwingt die Leitfunktion der Rhetorik in der Auffassung von Musik als einer Sprache der Gefühle mit, die musikästhetische Positionen des 17. und 18. Jahrhunderts prägte.

Das Seminar untersucht die Voraussetzungen, Funktionen und Begründungen der spannungsvollen Allianz von Musik und Rhetorik. Verkörpert Musik an sich bereits höhere Wahrheiten, oder ist sie zur Erzielung eindrücklicher Wirkungen auf das Manipulationsarsenal (persuasio = Überredung) der Rhetorik angewiesen? Kann Musik eigene, von der Sprachrhetorik unabhängige Techniken entwickeln, die in ihr performativ wirksam werden und ihrer non-propositionalen Struktur entgegenkommen?

Darüber hinaus wird interessieren, wie sich neuere Funktionskonzepte von Musik, die das a-logische und ana-logische Moment von Musik und ihre Fähigkeit der Entfaltung von Widersprüche und Ambivalenzen betonen (Simone Mahrenholz), vor dem Hintergrund der Rhetorisierung von Musik verstehen lassen. Auf dieser Basis wird eine Systematik der gegenseitigen Indienstnahmen von Musik und Rhetorik entwickelt werden, die über mentalitätsgeschichtliche und kommunikationstheoretische Dimensionen verfügt.

Semester: SoSe 2010