Musik ist in ihrer Geschichte in vielfältiger Weise auf die Natur bezogen oder als Teil der Natur betrachtet worden. Klangkosmologien prägen die verschiedensten Musikkulturen in Geschichte und Gegenwart. Die Natur diente der Legitimation von Tonsystemen: das antike griechischesystema teleion war gleichsam naturgegeben. Die Natur war der Bezugspunkt in den Nachahmungstheorien des 18. Jahrhunderts. Die Künste suchten die Perfektion der Natur zu übertreffen. Darüber hinaus diente die Natur als Projektionsfeld und Inspiration für lyrische und symphonische Musik des 19. Jahrhunderts.

Konzepte des Natürlichen wurden auch genutzt, um das Phänomen Musik in Bezug auf die perzeptive und ästhetische Ebene zu beschreiben. Musik galt als Medium einer natürlichen Innerlichkeit des Menschen. Doch mit dem veränderten Verständnisweisen der Natur und des Natürlichen veränderten sich auch diese Zuschreibungen.

Für die Moderne wäre in der Vorlesung zu thematisieren, ob Musik nicht im Sinne von Bruno Latour (1991) eine Praxis ist, die uns daran erinnert, dass die Trennung von Natur, Technik und Gesellschaft nie eindeutig gezogen werden kann, dass also auch die Musik nie ausschließlich ‚modern‘ gewesen ist.

In Bezug auf die gegenwärtige Mediengesellschaft wird zu untersuchen sein, warum die über Algorithmen vermittelten suggestiven Vernetzungen zwischen Nutzern, Objekten und Aktivitäten die ‚Natur‘ der Kommunikation verändern und warum sich temporäre Vergemeinschaftungen im digitalen Raum vorzugsweise als electronic tribes im Sinne gut kultivierter Biotope apostrophieren. Zugleich ist die (virtuelle) Rückkehr in die Natur als zu beachten, wie sie in der Sujet- und Coverwahl von alternative music und den tatsächlichen Musizierorten urbaner Klubkulturen (draußen, im Garten, bei Tageslicht etc.) zum Ausdruck kommt.

Ob Klänge und Töne als Objekte der Natur, des Wissens oder der Kunst galten, ob die Natur als Ressource künstlerischer Imagination, zur Begründung tonsystematischer Tatsachen oder als Erlebnisraum in Anspruch genommen wird, hängt von den Funktionszusammen-hängen ab, in die Musik eingebettet wird. Die Vorlesung thematisiert den Wandel dieser Funktionszusammenhänge im Spiegel der Transformationen der Natur.

Semester: WiSe 2011/12