Im dramma per musica, in der opera seria, der semi-operaund in der tragédie-lyrique sind spezifische Sichtweisen auf den Menschen entworfen worden. Bühnencharaktere bewegen sich im Spannungsfeld von Vernunft und Affekt und damit vor einem Horizont, der anthropologisch analysiert werden kann. Für diese Analyse sind die Nachahmungstheorie, Konzepte von Subjektivität aus Philosophie und politischer Theorie (Thomas Hobbes, René Descartes), aber auch der Versuch, die Leidenschaften quantifizieren, bedeutsam.

Mit der Transformation des Affekttheaters des Barock zur Pathos-Darstellung in der Generation Glucks und mit neuen theaterästhetischen Maximen des 19. Jahrhunderts veränderte sich der Blick auf den Menschen, auf die kommunikativen Erwartungen an das Theater und auf die Rezeptionsmodi des Publikums in grundlegender Weise. Subjektivierungsstrategien in den Bühnenwerken der Moderne artikulieren einen veränderten Entwurf des Menschen, bei dem das Autonomie-Gebot der Aufklärung durch die Einsicht der Verstrickung in den Käfig der Modernisierung abgelöst wird. Post-dramatische Strategien artikulieren kein positives Programm mehr. Vielmehr forcieren sie Brechungen und Abwesenheiten, die die Plausibilität szenischer Aktionen, die Darstellung von Gefühlen und die Annahme individueller Charaktere und Handlungsräume in Frage stellen.

Das Seminar wird mit Schwerpunktsetzungen auf der Zeit 1600 bis 1800, dem Musiktheater der Moderne und der post-dramatischen Phase nach 1980 verschiedene, für die Bühne implizite Entwürfe des Menschen sowie ihre dramaturgische und performative Ausgestaltung charakterisieren und in eine anthropologische Perspektive rücken.

Semester: SoSe 2011