In der Sowjetunion und nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs auch in den neuen osteuropäischen Staaten des sogenannten real-existierenden Sozialismus wurden jüdische Erfahrungen lange ausgegrenzt. Vielen Betroffenen und nicht-jüdischen kulturpolitischen Verantwortlichen schienen soziale Zugehörigkeiten bedeutsamer als das eigene oder fremde Judentum. Allerdings erfüllte sich nicht die Hoffnung auf einen antifaschistischen Staat, der auch den Antisemitismus aus seiner Mitte verbannen würde: Zwar war der Holocaust in vielen Ländern ein fester Bestandteil der politischen Selbstlegitimierung, stand aber durch den Fokus auf Widerstands- und Partisanenbewegungen häufig am Rande der Aufmerksamkeit.
In diesem Kurs wollen wir uns mit jüdischer Identität in osteuropäischen sozialistischen Staaten beschäftigen, wobei der Schwerpunkt eher auf der Nachkriegszeit als auf antisemitischen Ressentiments in der frühen Sowjetunion liegt. Hauptsächlich geht es hier um eine Verzahnung institutions- und diskursgeschichtlicher Ansätze mit einem werkanalytischen Fokus. Das heißt, wir nähern uns jeweils im Rahmen eines Landes und einiger ausgewählter Personen an die Bedeutung jüdischer Identität im Musikleben an, indem wir uns über ihre Kontexte, ihre Bedeutung für Debatten im zeitgenössischen Musikschrifttum und die Lebensbedingungen jüdischer Musikschaffender klar werden, bevor wir dann hauptsächlich kompositionsanalytisch verfahren, um dem Niederschlag und der Ausgestaltung jüdischer Identität in der musikalischen Faktur nachzuspüren.
Kursinformation
Semester: WiSe 2021/22