Judith Butlers Texte dokumentieren die Reflexion eines spätmodernen Subjekts, das sich in einer totalen Vergesellschaftung verortet und sich grundsätzlich als Unterworfenen einer ubiquitären Macht begreift. Doch die Hoffnung des spätmodernen Subjekts auf eine subversive Befreiung setzt gerade an der empörten Wahrnehmung seiner repressiven Lebenswelt an. Auf die Macht antwortet das reflexive Subjekt mit der Gegenmacht eines äußersten Akts der Selbstbehauptung.

Das Seminar befasst sich vornehmlich mit der Begründungsstruktur, durch die die Reflexion als solche artikuliert wird und nicht primär mit den konkreten Aussagen über die lebensweltliche Selbstauslegung des spätmodernen Subjekts, die in der Reflexion zum Ausdruck kommen. Butler geht bei der enarrativen Darstellung ihrer Ansichten radikal-konstruktivistisch vor. Inwiefern ihre Vorgehensweise ein historisches Erbe des neuzeitlichen Bewusstseins der Konvergenz der Welt auf den Menschen sowie dessen Konstruktivität darstellt, wird im Seminar beleuchtet. Eine Auswahl von Butlers Texten wird somit einer prozessualen Analyse unterzogen: Ausgehend von der historisch-genetischen Unterscheidung zwischen einer subjektivistisch-absolutistischen einerseits und einer systemisch-prozessualen Denkform andererseits wird die enarrative Artikulation dieser spätmodernen Reflexion auf ihre Quelle begründungslogisch befragt.

Auf der Grundlage dieser Dimensionierung werden im Seminar u. a. folgende Themen behandelt:

  • Denken vom Vorrang der Natur 
  • Wie der Geist in die Welt kam 
  • Der Umbruch im Weltverständnis der Neuzeit 
  • Die gesteigerte Reflexivität des spätmodernen Subjekts bei Butler 
  • Performativität und Subversion 
  • Die Bedeutung der materiellen Körper 
  • Die enarrative Vorgabe der kritischen Genealogie Butlers

Das Seminar fügt sich nahtlos in die übergreifenden Bestrebungen der Universität ein, einen freien, souveränen und ungehemmten Austausch zwischen all jenen zu ermöglichen, die am wissenschaftlichen Diskurs teilnehmen. Dennoch ist es nicht die Aufgabe des Seminars, Menschen vor Ideen zu schützen, die sie nicht mögen oder mit denen sie nicht einverstanden sind. Da die Lehrveranstaltung bei allem Bemühen nicht jedes Sensibilitätsspektrum abdecken kann, werden alle Seminarteilnehmenden gebeten, stets die ethischen Verpflichtungen eines menschenachtenden, respektvollen und demokratischen Umgangs mit Andersdenkenden zu berücksichtigen. Eine grundsätzliche Resilienz im Dialog mit abweichenden Positionen und Ansichten ist daher eine notwendige Voraussetzung für die Teilnahme am Seminar. Wenn Interessierte diese Mindestanforderungen (minima moralia) nicht erfüllen können oder wollen, bitten wir sie, von der Teilnahme am Seminar abzusehen. Die Teilnahme beruht auf Freiwilligkeit und Mündigkeit. Das Seminar wird voraussichtlich als hybride Veranstaltung durchgeführt.

 

Texte (Auswahl):

  • Butler, Judith. (1990) 1991. Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
  • Butler, Judith. (1993) 1997. Körper von Gewicht: Die diskursiven Grenzen des »Geschlechts«. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
  • Dux, Günter. 42017. Historisch-genetische Theorie der Kultur: Instabile Welten – Zur Prozessualen Logik im kulturellen Wandel. Wiesbaden: Springer VS.
  • Dux, Günter. 2018. Die Logik in der Geschichte des Geistes: Der Prozess der Säkularisierung. Wiesbaden: Springer VS.

 

Sekundärliteratur (Auswahl):

  • Álvarez-Vázquez, Javier Y. 2022. How? Enarrativity and the Cognition of Explicative Thinking: A Theory of Constructive Reasoning. Paderborn: Brill mentis.
  • Nussbaum, Martha. 2012. “The Professor of Parody: Four Books by Judith Butler.” Philosophical Interventions: Reviews 1986-2011, 198-222.
  • Vasterling, Veronica. 1999. “Butler’s Sophisticated Constructivism: A Critical Assessment.” Hypatia 4 (3): 17-38.
  • Villa, Paula-Irene. 2003. Judith Butler. Frankfurt a.M.: Campus Verlag.
  • Von Redecker, Eva. 2011. Zur Aktualität von Judith Buttler: Einleitung in ihr Werk. Wiesbaden: Springer VS.

Semester: SoSe 2023