An Knappheitsbefunden herrscht derzeit kein Mangel: von Lieferengpässen und inflationären Kostenschüben bei Grundnahrungsmitteln, Baumaterialien oder Energie bis hin zu fehlenden Fachkräften, schwindenden Wasservorräten und grassierender Wohnungsnot. Langsam scheint sich zudem die Einsicht durchzusetzen, dass diese Probleme keine vorübergehenden Turbulenzen globaler Lieferketten und Märkte darstellen, sondern unseren Alltag auch in Zukunft entscheidend mitbestimmen werden. Ausgehend von dieser neuerlichen Virulenz von Verteilungsfragen wollen wir in diesem Seminar den Manifestationen und Problematisierungen von Mangel und Überfluss von Beginn des 20. Jahrhunderts bis heute nachspüren. Unser besonderes Augenmerk gilt dabei der Frage, wie die jeweiligen Formen von Knappheit und Überfluss im Alltagsleben manifest und produktiv gemacht werden: durch Deutungshorizonte, Werte und Körperbilder bis hin zu individuellen und kollektiven Praktiken der Bevorratung, Opulenz, Mäßigung und Askese.

Hierfür widmen wir uns zunächst historischen, anthropologischen und soziologischen Wissensmodellen, die Mangel als konstitutives Element menschlicher Kultur und Gesellschaftsordnung ins Zentrum rücken. Darauf aufbauend analysieren wir ausgewählte historische Konstellationen der Reorganisation von Knappheit (z.B. während der Weltkriege und in Planungsexperimenten in der DDR). Zudem werfen wir einen kritischen Blick auf aktuelle Debatten, wie die Verteilung knapper Güter und Ressourcen zukünftig organisiert werden sollte: von den Vorschlägen eines Green New Deal bzw. Smart Growth bis hin zu Ideen von Postwachstum und »Commonismus«.

Semester: WT 2023/24