Auf verschiedenen Ebenen ordnet sich die Welt neu – und das heißt vor allem, dass die
Herrschaftsmuster, die der ‚Westen‘ seit Jahrhunderten in Gestalt von Kolonialismus und
Imperialismus zu seinen Gunsten etabliert hatte, erodieren.
An der Neuordnung der Welt arbeiten auf theoretischer und ideenpolitischer Ebene auch die
Stimmen des ‚Postkolonialismus‘. Zu ihren wichtigsten gehört Dipesh Chakrabarty. Mit seiner im Jahr 2000 erhobenen Forderung, Europa zu provinzialisieren, hat Chakrabarty wesentlich zu einer Kritik des Eurozentrismus beigetragen, zugleich aber auch auf die Schwierigkeiten hingewiesen, ‚westliche‘ Begriffe, Konzepte und Vorstellungen zu überwinden. Die „Provinzialisierung Europas“ lässt sich dabei als ein Kerngedanke verstehen, den Chakrabarty im Angesicht des Klimawandels auf die Gattung ‚Mensch‘ überträgt: Eine planetarische Geschichtsschreibung – so postuliert er – müsse althergebrachte Vorstellungen von Geschichte, Moderne und Globalisierung auf den Prüfstand stellen.
In diesem Lektüreseminar möchten wir uns mit euch den zwei zentralen Aufsatzsammlungen
Chakrabartys („Europa als Provinz“ / „Das Klima der Geschichte im planetarischen Zeitalter“)
widmen und seine Kritik an einer euro- bzw. humanozentrischen Historiographie nachvollziehen.
Darüber hinaus fragen wir uns, welche Rolle insbesondere die Geschichtswissenschaft vor dem
Hintergrund der Klimakatastrophe spielen kann.

Literatur:
Chakrabarty, Dipesh: Europa als Provinz. Perspektiven postkolonialer Geschichtsschreibung.
Frankfurt a.M. 2000.
Ders.: Das Klima der Geschichte im planetarischen Zeitalter. Frankfurt a.M. 2022.

Semester: WiSe 2023/24

Seit 2015, spätestens aber mit Beginn der COVID-19-Pandemie hat sich das Demonstrations-geschehen und die Protestkultur in Ostdeutschland – speziell auch in Sachsen – dynamisiert. Damit gewinnt die Straße als eigenständige und eigensinnige Arena des Politischen zunehmend an Bedeutung. Im Kontrast zu den Querdenkenprotesten in Südwestdeutschland sind die aktuellen Proteste in Ostdeutschland noch wenig beforscht. Im Seminar wird in verschiedene Methoden der Erforschung von Demonstrationen kurz eingeführt und teilstandardisierte Befragungen
von Teilnehmer*innen auf Protesten in Sachsen geplant und durchgeführt. In den Blick kommen dabei Protestereignisse, die im Herbst 2023 stattfinden werden, das werden vermutlich, aber nicht nur, extrem rechts konnotierte Proteste werden. Durch ein intensives Risk-Assessment werden die Feldaufenthalte vorbereitet und die Herausforderungen dieser Form von Forschung
intensiv besprochen. Das Seminar findet in Kooperation mit dem Else-Frenkel-Brunswik-Institut und gemeinsam mit Piotr Kocyba statt, der seit den Protesten von PEGIDA langjährige Erfahrungen in der Durchführung von Demonstrationsbefragungen u.a. in Deutschland und
Polen hat. Parallel dazu findet in Kooperation mit Prof. Nadine Jukschat an der Hochschule Görlitz/Zittau ein Seminar statt, die ebenfalls Demonstrationen in der Region untersuchen. Reisekosten für die Feldaufenthalte können im Rahmen des Aufbaus eines kontinuierlichen Protestmonitorings in Sachsen übernommen werden.

Semester: WiSe 2023/24

In Ergänzung zu der Vorlesung „Einführung in die Kultursoziologie“ werden in diesen Seminaren klassische und aktuelle Grundlagentexte der Kultursoziologie gelesen. Die Seminare finden als Lektürekurs statt, d. h. von allen TeilnehmerInnen sind wöchentlich zentrale Texte zu lesen. Anhand der Texte sollen verschiedene theoretische und empirische Perspektiven der Kultursoziologie vertiefend behandelt werden. Dabei geraten verschiedene Facetten des Kulturbegriffs in den Blick, etwa Perspektiven von Kultur als Prozess der Aushandlung sozial geteilter Bedeutungen, als Integrationsmechanismus von Gesellschaften und als distinktive Praxis sozialer Gruppen. Zugleich dienen die Seminare der Einübung grundlegender soziologischer Terminologie sowie der Erschließung und dem Verständnis zentraler kultursoziologischer Primärliteratur.

Semester: WiSe 2023/24

Vorlesung: Geschlechterrollen und Feminismen in Europa (18.-20. Jahrhundert)

 

Mo 11.00-13.00 Uhr c.t.

Beginn: 16. Oktober 2023

Die Vorlesung nimmt die Verfestigung von bestimmten Geschlechterrollen in Europa seit dem 18. Jahrhundert in den Blick. Der lange, von wiederholten Rückschlägen gekennzeichnete Weg des Kampfes um gesellschaftliche Gleichberechtigung und der Durchsetzung politischer Rechte von Frauen in Europa wird nachgezeichnet; beginnend mit den Diskussionen in der Aufklärung sowie den Ereignissen und Wirkungen der Französischen Revolution von 1789. Vergleichend werden unterschiedliche Entwicklungspfade in den europäischen Staaten im 19. und 20. Jahrhundert analysiert, dabei die Ausprägung und Entwicklung von Rollenbildern in Monarchien, autoritären Staaten, faschistischen und staatssozialistischen Diktaturen sowie parlamentarischen Demokratien nachgezeichnet. Die Vorlesung nimmt zudem sowohl transnationale Vernetzungen und Transfers als auch die Spannungen zwischen unterschiedlichen feministischen Akteurinnen und Organisationen in den Blick. Die Diskussion um Frauenrechte und Gleichberechtigung wird als Teil einer internationalen Entwicklung und als Element von Modernisierung und Demokratisierung thematisiert.

Literatur zur Einführung:

- Ute Gerhard, Frauenbewegung und Feminismus. Eine Geschichte seit 1789, München 32018.

- Karen Offen, European Feminisms 1700–1950. A Political History, Stanford 2000.

- Leila J. Rupp, Worlds of Women. The Making of an International Women’s Movement, Princeton 1997.


Semester: WiSe 2023/24

Ist ein grüner Kapitalismus möglich – und stehen wir vielleicht schon an seinem Anfang? Angesichts der ökologischen Frage steht ein tiefgreifender Wandel unserer Wirtschaftsweise an, ohne dass Einigkeit darüber herrschte, wie dieser zu erreichen sei. Während die einen die wirtschaftliche Entwicklung als schöpferische Zerstörung, Konkurrenz als Innovationsmotor und Märkte als demokratische Methode effizienter Allokation deuten, weisen die anderen darauf hin, dass es eben diese Formen seien, die die ökologischen Probleme erst hervorgebracht hätten. Im ersten Teil des Seminars näheren wir uns dem Kapitalismus als einer analytischen Kategorie: Was zeichnet den Kapitalismus gegenüber anderen Wirtschaftssystemen aus? Wie ist er entstanden und wie verändert er sich? Wie gestaltet sich in ihm die Beziehungen zwischen Menschen und zwischen Mensch und Natur? Was ist damit gemeint, dass der Kapitalismus einen ökologischen Widerspruch hervorbringt? In einem zweiten Teil versuchen wir daraus eine Analyse der gegenwärtigen ökologischen (Klassen-)Konflikte und Politiken zu gewinnen: Welche Klassen und Kapitalfraktionen spielen in der ökologischen Frage eine Rolle? Was sieht, was übersieht eine Analyse der ökologischen Frage als Klassenkonflikt? Zuletzt werden wir einen Blick auf konkrete Maßnahmen werfen – etwa den Kohlenstoffzertifikatehandel, die Integration und Förderung der erneuerbaren Energien, oder Ökosystemdienstleistungen – um ihre Widersprüchlichkeiten, Möglichkeiten und Grenzen in der Bearbeitung ökologischer Probleme herauszuarbeiten. 

Semester: WiSe 2023/24

Grundfragen der Geschlechtergeschichte – epistemologische und methodologische Diskussionen seit 1970
Christian Kleindienst

Seminar, dienstags, wöchentlich 09:15 – 10:45

Der 1986 von der Historikerin Joan W. Scott veröffentlichte Aufsatz „Gender: A Useful Category of Historical Analysis“ zählt zu einem der vielbeachtesten Beiträge methodologischer Diskussionen der Frauen- und Geschlechterforschung. Scott plädierte darin unter anderem für eine konsequente Historisierung von Geschlechterdifferenzen sowie einer kontinuierlichen selbstkritischen Überprüfung der eigenen Kategorien, Annahmen und Methoden. Wie Claudia Opitz anlässlich des 1999 ausgerichteten Symposiums „Gender, History & Modernity“ anmerkte, blieb weder der Aufsatz noch die Kategorie Gender unumstritten, sondern waren Gegenstand kontroverser Auseinandersetzungen. Angeregt wurden diese nicht zuletzt durch die in den USA sich seit den 1970er Jahren entfalteten Debatten um feministische Wissenschaftskritik und feministische Epistemologien, welche wir uns im Seminar gemeinsam erschließen werden. Das Ziel des Seminars ist es, einen Überblick über methodologische Beiträge der Geschlechtergeschichte sowie zentrale Konzepte feministischer Epistemologien wie Situated Knowledges (Donna Haraway), oder Outsider Within (Patricia Hill Collins) zu erarbeiten und die Bedeutung dieser feministischen Interventionen für die (geschlechter-)historische Wissensproduktion zu diskutieren. Zudem widmen wir uns anhand wissenschaftlicher Literatur zentralen Kategorien, Begriffen und (subjekt-)theoretischen Annahmen geschlechterhistorischer Forschung. Ein weiteres Ziel des Seminars ist es, die Pluralität geschlechterhistorischer Zugänge und den Erkenntniswert verschiedener Perspektivierungen sowie die transnationalen Bezugnahmen zwischen US-amerikanischen und (west-)deutschen Kontext in Hinblick auf die diskutierte Literatur und ihre Rezeption in den Blick zu nehmen.

Semester: WiSe 2023/24